Friaul-Reise des Slow Food Convivium Münchens vom 3. – 6. Mai 2013

Friaul-Reise des Slow Food Convivium Münchens vom 3. – 6. Mai 2013


Wenn Schnecken eine Reise tun: von Gubana, dem Schinkenhimmel, Gans, Käse, Salame, Vitovska, Collio und Picolit

Friaul, genauer gesagt die italienische Region Friuli-Venezia-Giulia (Friaul-Julisch Venetien), gehört wohl eher zu den unbekannteren Gegenden Italiens. Nein, diesmal nicht das wunderbare Südtirol, Gardasee, Toskana, Piemont oder Sizilien. Uns, 12 wiss- und genussbegierige Schnecken aus München, Köln und Wien zieht es vereint nach Corno di Rosazzo in die Provinz Udine. Sonst eher bekannt durch ein schreckliches Erdbeben in den 1970er Jahren und als jahrzehntelanges Zonenrandgebiet – kennen wir auch – nur wenige Weinberge bis zum ehemaligen eisernen Vorhang nach Ex-Jugoslawien, heute Slowenien. Die Region war immer geprägt durch ein nationales Hin-und-Her, Kriege, Flucht und Vertreibung. Mehrsprachige Orts- und Verkehrsschilder auf Italienisch, Furlanisch und Slowenisch erinnern daran.

Ein kleiner, sehr ansprechender Agriturismo, inmitten von sanften Hügeln und Weinbergen ist unser Refugium und Ausgangsbasis. Aber das größte Glück ist unser Organisator und allseits präsenter Giulio Colomba, lange Zeit Vizepräsident von Slow Food International, dessen Mitbegründer, Weggefährte von Carlo Petrini und regionales Urgestein. Friaul ist seine Küche, Wohnzimmer und Weinkeller in einem. Er kennt – gefühlt – jeden, der hier mit Essen und Trinken zu tun hat. Und dank Bolo ist er bereit und begeistert, uns mit seiner Heimat vertraut zu machen.

Regel Nr. 1: Bei Slow Food beginnt keine Aktivität ohne vorherigen Genuß

Da alle Mitreisenden außer den eingeflogenen Kölnern mit dem Auto durch eher kulinarische Autobahnwüsten angereist sind, treffen wir uns am Freitag zum ersten gemeinsamen Mittagessen in Cividale : kennenlernen, beschnuppern (auch dank Spaghetti aglio e olio als Primo). Das Menü sehr kreativ, für uns erstaunlich kartoffellastig. Frisches, selbst gebackenes Brot. Und dass eine banale Hühnerkeule, in Lardo eingewickelt und über Stunden sous-vide gegart , so intensiv schmeckt und auf der Zunge zergehen kann, erfreute uns sehr.

Die Gruppe ist also bekannt gemacht, niemand fremdelt mehr, der Stadtrundgang praktischerweise schon vorher absolviert. Nächstes Ziel die handwerkliche Bäckerei Dall’Ava, etwas außerhalb im Gewerbegebiet gelegen. Interessantes Konzept: links die Bäckerei, (Pasta macht sie auch, in der Mitte) und rechts die Metzgerei. Aber zum Schinken kommen wir noch, heute ist, passend zum Nachmittag, erst einmal der Kuchen dran. Und was für einer. Als Münchner fällt mir gleich der Bürgermeisterzopf ein. Den gab’s mal legendär beim Höflinger, bevor der Filius den Laden übernahm und einen Relaunch mit Müllerbrot startete – ein anderes Thema. Hier in runder Schnecken-Form und in 3 verschiedenen Größen. Ein Hefe-Sauerteig als Basis, selbst gehegt & geführt, erinnert an Panettoneteig, darauf kommt eine Füllung aus gemahlenen Nüssen, Mandeln, Pinienkernen, Ei, Zucker, Honig, in Grappa (was sonst) eingeweichte Rosinen, Slivovitz – als Ehrerbietung an den Nachbarn. Die Nußpaste wird auf den ausgerollten runden Teigfladen gelegt und mit Liebe einmassiert, das Ganze zu einer langen & dünnen Wurst gerollt, Naht nach unten und sehr locker (da wurde ich getadelt) als Spirale in eine Backform gelegt. Da der Kuchen klar slow ist, darf der „Rohling“ nochmal 6 Stunden gehen und wird erst dann gebacken. Das Ergebnis heißt Gubana! Mit „G“, nicht wie Cuba. Ach ja, etwas Rum schadet auch nicht, steht zumindest so in der Zutatendeklaration. Zur Kuchendegustation wird natürlich ein passender Süßwein (Ramandolo) gereicht und dann geht es gleich auf zum ersten Weingut, La Sclusa, zu dem unser Agriturismo gehört. Weißweine dominieren hier, wie in der gesamten Region, ehrlich und für jeden Tag. Der Betrieb betreibt Direktvermarktung, viel geht an die Gastronomie. In der „Damigiana“ als vino della casa angeboten (nicht das oftmals gepanschte und deckungsbeitrags-optimierende Hauswein-Unwort): Ein großer Glasballon, früher wegen der Bruchgefahr mit Korbgeflecht oder neuerdings Kunststoffüberzug ummantelt. Zum Abschluss von Kellerführung und Degustation kommt der 2. Süßweinvertreter aus dem Friaul ins Probierglas: ein Picolit aus getrockneten Weinbeeren. Das Abendessen in der Osteria della Ribolla läßt sich Appetit fördernd zum Glück zu Fuß erreichen.

Der Samstagvormittag steht ganz im Zeichen des Schinkens: San Daniele

Knapp 3 Dutzend Erzeuger haben sich dort zu dem – außer in Vegetarierkreisen – weltberühmten Konsortium zusammengeschlossen und wachen streng über die Regeln der Herstellung und Vermarktung. Doch nun zur wichtigen Frage: was braucht man in San Daniele für guten Schinken? Eine gute Schweinekeule (12 – 16 kg, von einem Tier, das in Nord- bzw. Mittelitalien geboren und aufgewachsen ist), Meersalz, das richtige Klima und ganz viel Zeit. Mehr aber auch nicht, das sagt uns lächelnd Luciano Zanini, der den elterlichen Betrieb zusammen mit seinen Geschwistern führt und sein Handwerk dort von Kindesbeinen an erlernt hat. Kein Flüssigraucharoma, kein Biokleber oder ähnlichen Unsinn, mit dem man hierzulande ein Verbrechen am Fleisch begeht.

Einziges Tribut an die Neuzeit, denn früher machte man nur in den kalten Wintermonaten luftgetrocknete Schinken, sind die Reifekühlungen für die ersten 6 Monate, in denen – bei rein statischer Kühlung – alle 4 Stunden die Temperatur von 2 bis 6 Grad Celsius variiert und so komprimiert der Tag- und Nachttemperaturunterschied quasi im Zeitraffer nachvollzogen wird. Das letzte Jahr seiner Reifung verbringt der Schinken in einem Keller ohne zusätzliche Kühlung. Gute Durchlüftung ist dabei wichtig, ein spezielles Mikroklima im Keller und in der Gegend ist ausschlaggebend für den Geschmack. Die Bedeutung des Terroirs gilt also nicht nur beim Wein. Auf meine Frage, wie bekommt man nun den Knochen aus dem Schinken, geht der Meister kurz nach nebenan, kommt mit einer fertig gereiften Keule zurück, greift sich ein paar Angst machend scharfe Werkzeuge und entbeint mit wenigen präzisen, geradezu chirurgischen Schnitten und Schlägen das Prachtstück. Operationsgebiet zunähen, ab in den Vakuumverpacker, Etikett drauf, in die Kühlung, fertig! Übrigens: was sammelt ein Schinkenmacher als Hobby? Richtig: rote Berkel-Aufschnittmaschinen aller Altersklassen und Modellreihen. Von deren Qualität und natürlich der Qualität des Schinkens können wir uns gleich hauchdünn überzeugen. Das geht in der Not auch ohne Brot oder Grissini, Entschuldigung, Bibanesi, so heißt die hiesige Variante: kurz und dick.

Pestat , Gans, ein Storch –
Casale Cjanor und Weinberge in Steinwurfweite von Slowenien

Das Mittagessen gibt uns die Gelegenheit eines der Presidio-Produkte aus dem Friaul kennenzulernen: Pestat, eine traditionelle Würzpaste aus Schmalz, Gewürzen, Kräutern, Zwiebeln und Wurzelgemüsen. Man isst es zu geröstetem Weißbrot oder verwendet es als natürliche Würze und Grundlage für Sughi und Bratensoßen (etwa wie ein Soffritto). Die Besitzergeschwister betreiben neben dem Lokal ein Agriturismo und die Landwirtschaft mit Schwerpunkt Geflügelwirtschaft. Übers Jahr werden bis zu 600 Gänse aufgezogen und für den Eigenverbrauch und diverse Produkte des Hofladens verarbeitet. Die vorzüglichen Keulen von einigen Exemplaren landen auf unseren Tellern. Der Storch hoch oben im Storchennest gegenüber vom Eingang braucht nichts zu fürchten, er ist lebender Beweis für den Erfolg eines Wiederansiedelungprojekts in der Region. Die Besichtigung der Weingüter von Edi Keber (ausschließlich Collio aus 3 autochthonen Rebsorten) und Franco Toros (Collio, Pinot Grigio, Sauvignon, Merlot), die Probierrunden mit Bibanesi, eine Art gestauchte Grissini, hausgemachter Salami und Käse von nebenan, lassen uns nicht nur wunderbare Weine vergleichen und gleich erstehen, sondern auch ausgiebige Diskussionen führen, welche Salame nun besser mundete. Einziger Wermutstropfen: einzelne Jahrgänge oder „Projekte“ sind gar nicht verkäuflich, sondern nur für Friends & Family und manchmal zum Probieren. Zum Glück ist heute so ein Manchmal-Tag. Abends klingt der Tag dann im Ökogut La Subida genussvoll aus.

Sonntag: Weingüter & Sterneküche

Weiter geht es diesmal gleich mit 3 Weingütern alle in Carso (Prepotto): Zidarich, Kante und Skerk. Der Karst, eine hügelig-bergige Landschaft mit felsigem Untergrund und nur einer dünnen Auflage aus fast roter Erde, lässt sehr mineralische Weine (wie zum Beispiel die Vitovska) entstehen. Ein ständig wehender leichter Wind, bis hin zur starken & kalten Bora, die die Nässe vorhergehender feuchter Wetterperioden sehr schnell wieder abtrocknen lässt, schafft ein relativ trockenes Reizklima und schützt die Reben so vor Krankheiten. Am beeindruckendsten sind, neben den ganz unterschiedlichen Winzerpersönlichkeiten, die Weinkeller. Vom abgetragenen Hügel und in über 10-jähriger Arbeit selbst in den Fels gebauten, bis ins letzte Detail durchdachten Keller bei Zidarich, zum postmodernen Weinkathedralen-artigen Rundkeller bei Kante, bis zum im Diamantschnitt rechtwinklig aus dem Berg gefrästem Kellerkubus bei Skerk: alle Keller mehrstöckig und die natürliche Kühlung & Luftströmungen von Fels, Grotten und Stollen ausnutzend.
Frage an den Winzer: Wann ist Ihr Keller eigentlich fertig? Prompte Anwort: nie!

Einstimmiges kulinarisches Highlight unter vielen Gipfeln ist die Trattoria Quattro Venti in Corno die Rosazzo, geführt von einer Köchin, bekennende Autodidaktin, die auf ihren erkochten Stern pfeift , vor ein paar Wochen ein leerstehendes Lokal übernommen hat. Sie öffnet ihre absolut unprätentiöse Trattoria, wo nichts vom Essen ablenkt, am Sonntagabend nur für unsere Gruppe, kocht auf und macht uns glücklich. Wie? Zum Beispiel mit Ravioli mit Gansfüllung auf zweierlei Arten gegart: eine Variante traditionell in Salzwasser, die andere in vin brulée (Glühwein). Der Hauptgang ein kleines Stück Spanferkelbraten zartester Sorte – in Folie mit einem Fleck kross-schmelzender Schwarte. Ein befreundeter Winzer serviert und erklärt zu jedem Gang ein bis 2 passende Weine.

Montag: Formadi Frant und der Abschied

Am Montag klingt unsere Reise dann mit der Besichtigung eines Milchviehbetriebs & Käserei aus: die Fattoria Gortani in Palmanova. Einer von nur noch 3 Betrieben in der Region, die die gesamte Wertschöpfungskette von der Weide, über die Kuh zu Milch und Fleisch, zu Ricotta, Frischkäse, Käse und Joghurt betreiben. Mit von der Partie ein weiterer Presidio-Passagier, der Formadi Frant, ursprünglich eine Art Resteverwertung verschiedener Käse mit sehr würziger Note. Wieder ein Familienbetrieb, der Vater ist Käser, die 3 Söhne führen Betrieb, Landwirtschaft und Sommeralm. Gut, dass einer der dreien Jura studiert hat, das hilft vielleicht nicht unbedingt im Umgang mit dem lieben Vieh, doch direkt bei ähnlich sturen Veterinärbehörden und EU-Bürokratieumsetzern, die nicht nur im Friaul einer kleinteiligen bäuerlichen Landwirtschaft das Überleben schwer machen. Wir genießen hier unter anderem die lokale Spezialität „Magnifrico“, Fladen aus Käse, Kartoffeln, Speck und Zwiebeln. Und eine unvergessliche, frische (noch warme!!) Ricotta.

Zum Schluß noch eine kurze Stärkung in der Caffetteria Torinese in Palmanova, betrieben vom örtlichen Convivienleiter. Das -nova in Palmanova kommt von Napoleon, der ließ die Stadt als Festung anlegen. Die Tagesbar liegt direkt am riesigen achteckigen Marktplatz, schräg neben der Kathedrale. Caffetteria – was für ein Understatement! Nur erstklassige Produkte im ständig wechselnden Angebot, vorzugsweise aus der unmittelbaren Umgebung, Auszeichnung im Gambero Rosso als eine der besten Bars Italiens. Wehmut, Schwamm drüber: gibt’s nicht daheim, wird es nie geben, würde auch nicht zu München passen: nicht schick (Achtung: lauter normale Leute), nicht schlecht, nicht übermäßig teuer.

Viele Ciaos, Servus‘ und Umarmungen zum Abschied, ein großes Dankeschön an den wunderbaren Giulio, für seine Expertise und sein Uns-Teilhaben-Lassen. Und an Roberto, unseren unermüdlichen, charmanten Übersetzer. Keine Sorge, wir kommen wieder. Und da Genuss doch glatt in Arbeit ausarten kann, wenn man/frau das rechte Maß manchmal nur ein ganz kleines bisschen übertreibt, so fiel der erwartete Schock beim nächsten lang gefürchteten vorsichtigen Schritt auf die Waage gar nicht einmal sooo schlimm aus;-)