Köstlichkeiten aus Rohmilch – oder die Rolle des Regenwurms in der Kulinarik
Kurz nach dem traditionellen „O’zapft is“ des Münchner Oberbürgermeisters Ude versammeln sich am ersten Oktoberfestsamstag 20 Exkursionsteilnehmer vor dem ehemaligen Gasthof der kleinen Ortschaft Dürneck bei Freising. Hier geht es schon lange nicht mehr um Bier, heute bewirtschaftet Familie Braun den Bioland-Hof in den Oberen Isarauen mit Milchkuhhaltung und eigener Käseherstellung aus Rohmilch. Seit kurzem zählt der Betrieb auch zu den Slow Food Fördermitgliedern. Eine ideale Adresse also, um mehr über guten, sauberen und fairen Käse zu erfahren.
Zu den Ursprüngen eines Bio-Bries
Guter Käse fängt beim Boden an. Josef Braun geht mit uns nicht direkt in die Käserei, sondern führt das Slow-Food-Grüppchen an diesem sonnigen Septembernachmittag hinaus auf die Felder hinter dem Bauernhof. Apfelbäume mit dicken roten Früchten säumen den Weg, Hofhund Sina begleitet uns schwanzwedelnd, auf den weitläufigen Weiden grasen die Kühe, Schmetterlinge flattern durch die warme Luft und landen mal auf dem Bio-Bauern, mal auf einem der Besucher. Eine Idylle wie im Werbefilm, wäre da nicht der Soundtrack der Realität: Eine kontinuierliche Geräuschkulisse der stark befahrenen B 11, die direkt am Hof vorbeigeht, und immer wieder Fluglärm. So laut, dass der Vortrag von Josef Braun teilweise darin untergeht. Dabei möchte man jedes Wort verstehen, so spannend, fundiert und einleuchtend ist sein Vortrag. Kein Wunder, dass der Braun-Hof zu den bundesweit ausgewählten Öko-Demonstrationsbetrieben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gehört, die der interessierten Öffentlichkeit die Besonderheiten, Vorzüge und Herausforderungen des Ökolandbaus nahe bringen soll. Die Essenz: Nur in einem gesunden Boden wachsen gesunde Pflanzen als gesundes Futter für gesunde Kühe, die gute Milch geben für guten Käse.
Vom Bodenausbeuter zum Bodenforscher
„Josef Braun ist Ackerbauer mit Leib und Seele“ steht in der Broschüre des Ministeriums. Das war er schon 1983, als er nach seiner Ausbildung zum konventionellen Landwirt zusammen mit seiner Frau Irene den Betrieb seiner Eltern übernahm. „Ich war jung und wollte etwas bewegen“, sagt er und formt die Hände zu Fäusten, wie einer, der zupacken kann. Mit Technik und Monsanto die Natur zu beherrschen und Erfolg zu haben, das hat richtig Spaß gemacht, bekennt er noch heute. Das Umdenken beginnt bald. Schon 1988 schließt er sich dem Öko-Anbauverband Bioland an. Anstöße kommen von Freunden in der katholischen Landjugend und Weggefährten im Kampf gegen den Flughafen im Erdinger Moos, ausschlaggebend ist schließlich der atomare GAU in Tschernobyl. „Ich wollte weg von der Vergewaltigung der Natur, hin zum Verstehen der Natur.“
Die Regenwurm-Regel
Inzwischen hat sich Braun ganz der Erforschung der Bodenfruchtbarkeit bei einer ökologischen Bewirtschaftung verschrieben, experimentiert mit neuen Anbauverfahren wie dem Getreidemischanbau und arbeitet mit verschiedenen Universitäten und Wissenschaftlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Er will zeigen, dass die Natur auch ohne den Einsatz schwerer Maschinen und Chemie extrem leistungsfähig ist. Eine von Brauns Überzeugungen: „Bodentiere stellen alles her, was Pflanzen brauchen, also ist der Boden zu respektieren.“ Regenwürmer zum Beispiel sind ein Indikator für Bodenfruchtbarkeit. Auf einem biologisch bewirtschafteten Boden leben 400 bis 600 Regenwürmer pro Quadratmeter, auf einem konventionell bewirtschafteten bayerischen Acker durchschnittlich 16 Stück. Die 80 Tonnen Regenwurmkot auf den Flächen von Josef Braun enthalten die doppelte Stickstoffmenge, die konventionell im Dünger ausgebracht wird. Die Ursache für den Regenwurmsegen: Seit 1984 wendet Braun die pfluglose Bodenbearbeitung an, seit 1994 Minimalbodenbearbeitung ohne Bodenlockerung. Das heißt: Die Erde wird nicht mehr aufgerissen und gewendet, nur die obersten 6 Zentimeter werden bearbeitet und es kommen keine schweren Geräte zum Einsatz, die den Grund verdichten.
Gesundes Gourmetgras
Da vom Feld, auf dem wir Slow-Food-Besucher stehen, bis zum Käse, den wir später probieren wollen, noch viele Arbeitsschritte liegen, ahnen wir, dass ein ökologisch hergestellter Käse von Josef Braun nicht nur slow, sondern intellektuell ein höchst anspruchsvolles Produkt ist. Braun bückt sich und pflückt ein kleines Sträußchen von seiner Wiese. In der Hand hält er Löwenzahn, Spitzwegerich, Rotklee, Luzerne, Kümmel, Schafgarbe und wilde Möhre. Das hochwertige vitamin- und mineralreiche Futter aus dem Heu der artenreichen Wiesen ist die Grundlage für den guten Geschmack von Milch und Käse und gleichzeitig ein Fitness-Kräutermix für die 22 Schwarzbunten. Mit der hochwertigen Ernährung erreichen seine Milchproduzentinnen ein deutlich höheres Lebensalter als Tiere in einem konventionellen Betrieb.
Geschmack braucht Innovationen
Die Kräuterzubereitung für die glücklichen Feinschmecker-Kühe ist ein weiteres Kapitel für sich. Die Pflanzen dürfen nicht draußen auf der Wiese getrocknet werden, da beim Einholen, die inhaltsreichen Blätter abfallen und nur Stängel übrig bleiben würden. So hat sich Josef Braun eine ausgeklügelte, schonende und umweltfreundliche Lufttrocknungsmethode ausgedacht, die mit den anderen komplexen Energie- und Rohstoffkreisläufen auf dem Hof ideal verzahnt sind – der Betrieb erzeugt unter anderem Strom mit 700 Quadratmetern Kollektoren und Wärmeenergie mit Hackschnitzelverbrennung. Die Mühe lohnt sich, wie viele Studien belegen, aus denen der wissenschaftlich vernetzte Bio-Bauer laufend zitiert: Die Art des Futters hat großen Einfluss auf die Milchqualität, insbesondere auf die Zusammensetzung des Milchfetts. Wenn Kühe – anstelle von leistungsorientierter Stallfütterung mit einem hohen Kraftfutter- und Maisanteil – überwiegend Weidefutter fressen, erhöht sich im Milchfett der Gehalt an gesundheitsfördernden, für den Menschen essenziellen Omega-3-Fettsäuren. Der Verbraucher freut sich.
Sex für gute Milch
Der Bioland-Verband weist auf seiner Internetseite darauf hin, dass neben gesundem Futter, auch die artgerechte Haltung das Immunsystem der Kühe maßgeblich stärkt. Elsa, Lisa, Fanny und ihre Kolleginnen haben bei der Familie Braun zum Beispiel völlige Bewegungsfreiheit durch einen Laufstall und ganzjährigen freien Zugang zur Weide. „Meine Tiere dürfen machen, was sie wollen. Ich verlange nur, dass sie in der Früh und abends zum Melken erscheinen“, beschreibt der Bauer die lockeren Arbeitsbedingungen seiner Bio-Kühe. Doch damit nicht genug. Wird auch in einem Großteil der deutschen Bio-Betriebe die Rinderzucht mit künstlicher Besamung betrieben, gibt es auf dem Braunschen Hof noch echten Sex. Während seine Damen friedlich in der Septembersonne grasen, zeigt Bulle Girgl der Slow-Food-Gruppe, was ein echter Kerl im Stall ist. Kaum sind wir mit unserer Führung in die Nähe seiner Box angelangt, fängt er an zu rumoren und brüllt heiser. Als Girgl schließlich mit seinem mächtigen Schädel geräuschvoll gegen die Planken kracht, fragt man sich, ob der schlanke Herr Braun für gute Milch nicht sogar sein Leben riskiert.
Vom Beruf zur Berufung
In der Käserei nimmt uns Sophie in Empfang. Kühl und feucht ist ihr Reich. Sie trägt Latzhose, Gummistiefel und ein buntes Tuch um die Haare gebunden. Nach einem Praktikum auf einer Alm hat die ehemalige Arzthelferin aus Pfaffenhofen ihren Job an den Nagel gehängt, um sich ganz der Kunst des Käsemachens zu widmen. Seit August 2008 kümmert sich die 23-Jährige im Team des Dürnecker Betriebs um die Verarbeitung von Rohmilch zu Käse, einem der ältesten von Menschen hergestellten Lebensmittel. „Meus mollicus caseus“, mein kleines Kuschelkäschen, sollen sich schon verliebte Römer ins Ohr geflüstert haben. Die Entstehungslegende, von der Sophie berichtet, reicht zurück bis ins alte Ägypten. Zum Transport wurde Milch in Kalbsmägen gefüllt und – voilà– als man sie trinken wollte, war sie durch das Lab geronnen. Im 21. Jahrhundert in Oberbayern verwendet Sophie zwar immer noch echtes Kälberlab, aber die Käseherstellung ist heute natürlich komplexer.
Slow Cheese
Zunächst erfordert die Braunsche Qualitätsphilosophie ganzen Körpereinsatz von der zierlichen Käserin. Damit die gute Milch nicht in einer Pumpanlage herumgeschleudert, sondern schonend vom Stall in die Käserei transportiert wird, schöpft Sophie 180 Liter Milch mit Eimern in einen fahrbaren Tank, die sie wiederum mit Eimern in den Kessel der Käserei umfüllt. Rund eine halbe Stunde braucht sie dafür. In der Regel verarbeitet sie 1800 Liter Milch pro Woche, das heißt fünf Stunden Milch schöpfen mit der Hand für guten Käse. Die Eimermethode hat einen weiteren Vorteil: Sie ist hygienischer. „Rohmilchkäse-Herstellung erfordert eine sehr große Sorgfalt“, erklärt die Käseexpertin. Denn dieser wird aus quasi kuhwarmer Milch gemacht, während beim konventionellen Käse die Milch pasteurisiert, also auf 60 bis 85 Grad erhitzt wird, um Bakterien, Hefe- und Schimmelpilze abzutöten. Dabei gehen aber auch Vitamine, Nährstoffe und – zum Grauen aller Genießer – viel Geschmack verloren.
Wunderbare Metamorphose der Milch
Mit Milchsäurebakterien bringt Sophie nun die Säuerung der Milch in Schwung und erwärmt sie unter Rühren für die heutige Schnittkäse-Produktion auf 32 Grad. Jeder Käse erfordert seine spezifische Temperatur. Frischkäse beispielsweise braucht 24, Camembert 36 Grad. Nach einer Stunde fügt sie das Lab hinzu. Es bewirkt, dass die Milch puddingähnlich gerinnt. Nur 19 Milliliter Lab reichen für die Dicklegung von 100 Litern Milch, aus denen rund zehn Kilogramm Käse werden. Ungefähr eine Stunde später schneidet sie die Masse mit einer sogenannten Käseharfe zuerst in walnussgroße, dann in erbsengroße Stücke. Sie steigt dazu auf einen Schemel, um die Harfe tief in den Kessel eintauchen und in alle Richtungen ziehen zu können. Je härter der Käse später werden soll, umso kleiner schneidet man den Käsebruch. So kann mehr Molke austreten. Eine halbe Stunde werden die kleinen Würfelchen gerührt, dann wird der Bruch gewaschen und gebrannt. Sophie schöpft 20 Prozent der Molke ab, gibt heißes Wasser dazu und heizt den Kessel anschließend wieder auf 39 Grad. Der Käse festigt sich allmählich unter ständigem Rühren, wird am Ende von Hand abgeschöpft und in die bereitgestellten runden Siebformen auf dem Abtropfwagen gefüllt. Sechs bis sieben Mal wendet sie die weichen Käselaibe heute noch, damit die Flüssigkeit gut ablaufen kann und sich eine gleichmäßige Rinde entwickelt. Morgen kommen die gepressten Käselaibe in ein Salzbad, wo sie Würze erhalten und Restmolke verlieren, bevor sie am dritten Tag zum Reifen ins Holzregal zu ihren älteren Kollegen wandern. Dort werden sie weiterhin regelmäßig gewendet und mit der Bürste mit Rotschmiere-Pilzkultur für eine schöne Rindenbildung abgeschmiert. Zwei bis acht Monate lagern die Käse, bis sie den richtigen Geschmack haben und für den Genuss frei gegeben werden.
Glückliche Gaumen
In einem Gewölbekeller werden uns am Ende der Führung die Schätze aus der Käsekammer mit liebevoll handgeschriebenen Namensschildern zur Verkostung dargeboten, flankiert von Trauben, Äpfeln und Birnen, Honig und Brot. Nach soviel Wissenszuwachs sind alle Exkursionsteilnehmer hungrig. Neugierig probieren wir die kulinarischen Gaben, an denen nicht nur glückliche Kühe, sondern auch glückliche Regenwürmer mitgearbeitet haben. Sie schmecken herrlich!
Rohmilchprodukte vom Biolandhof Braun:
Dürnecker (Natur, Kräuter, Kümmel, Karotte, Räucher, Pfeffer, Chili-Thymian, Rucola-Kürbiskern), Frischkäse, Ölkäse, Brie, Camembert, Weichkäse Pikantus, Butter, Quark, Joghurt, Creme fraîche, Topfen, Buttermilch. Preis Käse/kg: 13,00 – 25,00 Euro
Verkauf:
- Dürneck: Hofladen und 24-Stunden-SB-Kühlschrank
- München: gut & gern, Klugstr. 4, 80367 München / Gern; Freitag: 10 – 18 Uhr, Samstag: 9 – 13 Uhr
- Tagwerk-Läden Dorfen und Freising
- Abokiste Kranzberg
- Bestellung von Schnitt- und Weichkäse per E-Mail: biolandhof.braun@t-online.de
Hof-Adresse:
Biolandhof Braun
Josef und Irene Braun
Dürneck 23
85354 Freising
Tel.: (0 81 61) 1 32 49, Fax: (0 81 61) 1 32 47
biolandhof.braun@t-online.de
Weitere Informationen:
Betriebsfaltblatt zum Biolandhof Braun – Demonstrationsbetrieb Ökologischer Landbau, Informationen aus erster Hand für Praktiker, Experten und Verbraucher
Hrsg.: Geschäftsstelle Bundesprogramm Ökologischer Landbau in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.
Zum Download: www.bioland.de/fileadmin/bioland/file/aktuelles/demobetriebe/129_braun.pdf
Text:
Katharina Heuberger
Fotos:
Enno Kapitza (ek – 10)
Matthias Richter (mr – 4)
Katharina Heuberger (kh – 5)