Für den Blog des Ernährungsrats München hat unser Conviviums-Leiter Rupert Ebner folgenden Blogeintrag verfasst:
Wie wirken sich Tierhaltung und Fleischkonsum auf das Klima aus, und was können wir alle im Supermarkt tun, um die Wirksamkeit von Antibiotikum zu erhalten? Tierarzt, Autor und Lebensmittel-Genießer Rupert Ebner gibt uns einen Einblick.
Ernährung & das Klima
In München beginnt gerade der Münchner Klimarat mit seiner Arbeit. Leider denken viele Menschen wenn es ums Klima geht an Sektoren wie Verkehr, Energiewirtschaft, Landwirtschaft oder Gebäude. In der politischen Diskussion gibt es keinen Sektor Ernährung: im Jahr 2019 machte die Landwirtschaft in Deutschland etwa 7,6 % der Treibhausgasemissionen aus1. Würde man jedoch die Energieverbräuche aus allen Sektoren addieren, die mit unserer Ernährung in Verbindung stehen – zum Beispiel Transport, Lagerung oder Verarbeitung – wäre dieser Bereich ein ziemlich bedeutender Faktor beim Klimaschutz.
Der Bereich in dem ich als Tierarzt seit vielen Jahren tätig bin, ist der Bereich der Lebensmittel tierischen Ursprungs. Sie stellen einen Bereich dar, in dem erhebliche Mengen an klimaschädlichen Gasen erzeugt werden. Aber nein, es sind nicht die Rinder, die hier am meisten emittieren, es ist das System der industriellen Massentierhaltung, das durch seinen hohen Verbrauch an fossiler Energie, das Roden der Urwälder, lange Transportwege zum Teil um die halbe Welt, den Einsatz von Agrochemie usw. die damit verbundenen Klimagas- Emissionen hervorruft. Rinder auf der Weide, deren Winterfutter aus Heu besteht, haben eine deutlich niedrigere CO2-Bilanz als Rinder aus der Massentierhaltung. Ein nachhaltiges Weidemanagement sorgt sogar dafür, dass mehr CO2 gespeichert als ausgestoßen wird2.
Ich schreibe diesen Blogbeitrag als Leiter des Slow Food Conviviums München.
Das Motto der internationalen Slow Food Bewegung lautet: Wir wollen Lebensmittel die „Gut – Sauber – und Fair“ sind.
Über Gut lässt sich trefflich streiten. Aber können wir nicht unsere Sinne entsprechend unserer Intuition für Geschmack und Qualität schulen und uns Wissen aneignen, um wieder klar zu erkennen, was wirklich gut (für uns und vielleicht gleichzeitig für die Umwelt) ist?
Fair ist ein Sachverhalt, der es endlich in die öffentliche Debatte geschafft hat. Können uns Lebensmittel, deren Herstellung mit der Ausbeutung von Menschen, vielleicht sogar Kindern in Verbindung steht, wirklich schmecken?
Genauso verhält es sich mit Tieren in der Landwirtschaft. Können uns Tiere, die während ihrer Zeit in der „Obhut“ des Menschen Schmerzen ertragen müssen, damit das industrielle System der Massentierhaltung funktioniert, wirklich schmecken?
Ernährung & Antibiotika
Abgesehen von der Klimabilanz und (tier-)ethischen Aspekten gibt es einen weiteren Grund, warum das aktuelle System der industriellen Massentierhaltung bedenklich stimmen kann: bei der Haltung von Tieren in der Landwirtschaft – ich vermeide wann immer es geht den Begriff Nutztierhaltung – wird eines der wichtigsten Arzneimittel für die Rettung von Leben bei Menschen und Tieren häufig nur deshalb eingesetzt, weil das System sonst nicht wirtschaftlich ist.
Ein System, das durch auf Wachstum getrimmte Zuchtziele – mehr Fleisch, mehr Milch, mehr Eier – alle anderen vitalen Funktionen der Tiere in den Hintergrund stellt, erzeugt immunschwache, krankheitsanfällige Individuen.
Wenn dann noch die Fütterung nur auf Effizienz und „Leistung pro Zeit“ – schneller mehr Fleisch, noch mehr Milch, noch mehr Eier – ausgerichtet ist und auf die Physiologie der Tiere keine Rücksicht nimmt, dann wären das schon genügend Gründe, warum Tiere krank werden und, damit sie nicht leiden oder sogar verenden, mit Antibiotika behandelt werden.
Hinzu kommen die gängigen Haltungsformen, riesige „Tierstapel“ – mich schaudert schon bei dem Begriff Tierstapel. Weiter sieht die industrielle Massentierhaltung eine möglichst frühe Trennung der Ferkel und Kälber von ihren Müttern vor. Diese Tierkinder gehen dann häufig auf lange Transportwege, werden zu neuen „Tierstapeln“ zusammengestellt.
Diese Arbeitsteilung, wie sie sich seit der industriellen Revolution im 18. Jahrundert für die industrielle Produktion der meisten Konsumgütern durchgesetzt hat, wurde auf die Tiere in der Landwirtschaft – die Nutztiere – übertragen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Tiere.
Viele dieser „Produktionsweisen“ wären nicht möglich, ohne die damit zwangläufig einhergehenden bakteriellen Infektionen mit dem billigen und jederzeit verfügbaren „Produktionsmittel“ Antibiotika erfolgreich zu bekämpfen und dadurch die Wirtschaftlichkeit der industriellen Massentierhaltung zu sichern. Dabei greift die industrielle Landwirtschaft ausschließlich auf Wirkstoffgruppen zurück, die auch in der Humanmedizin zur Behandlung bakterieller Infektionen zum Einsatz kommen.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass ein derartiger Einsatz von Antibiotika mit einem hohen Risiko verbunden ist: Bakterien können Resistenzen gegen das eingesetzte Antibiotikum entwickeln und diese Fähigkeit sogar an andere Bakterien weitergeben: “Bakterien tauschen Resistenzinformationen untereinander aus“.
Je häufiger, und vor allem je weniger sachgerecht Antibiotika eingesetzt werden, desto wahrscheinlicher ist die Bildung von Resistenzen.
In der industriellen Massentierhaltung werden Antibiotika meist über das Trinkwasser bzw. über das Futter verabreicht. Hier ist die Dosiergenauigkeit, der wichtigste Parameter für die Entwicklung von Resistenzen, kaum gegeben. Fehldosierungen sind hier eher die Regel als die Ausnahme.
Schon 2014 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einer „post-antibiotic era“: durch den aktuellen übermäßigen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika und die daraus resultierenden Resistenzen könnten in Zukunft keine wirksamen Antibiotika mehr zur Behandlung zur Verfügung stehen. Banale bakterielle Infektionen, die längst ihren Schrecken verloren haben, würden wieder zum Tod des betroffenen – infizierten – Menschen führen.
Die heute verbreitete „hocheffiziente und billige Produktion“ könnte uns also langfristig gesehen ziemlich teuer zu stehen kommen.
Natürlich ist nicht nur der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung für die Entstehung von Resistenzen verantwortlich, einen wichtigen Beitrag dazu leistet auch der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin. Alle Gruppen, Human – und Tiermedizin – fühlen sich der „One Health Deklaration“ verpflichtet – das bedeutet wir müssen gemeinsam versuchen, durch einen möglichst geringen und fachgerechten Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin die Bildung von Resistenten zu verhindern. Auf den anderen zu zeigen, und über sein eigenes Handeln nicht zu reflektieren, bringt nichts voran.
Deshalb mein Fazit:
- Um Resistenzbildungen und alle damit einhergehenden Risiken einzudämmen, müssen Tiere in der Landwirtschaft so gezüchtet, gefüttert und gehalten werden, dass der Einsatz von Antibiotika minimiert werden kann. Sollte die Anwendung von Antibiotika trotz nachhaltiger Zucht, sachgerechter Fütterung und optimaler Haltung nötig sein, dann muss dies sachgerecht und am Einzeltier erfolgen. Es dürfen keine Rückstände in den Lebensmitteln nachweisbar sein – derzeit sind minimale Rückstände erlaubt (Maximum Residue Limits – MRLs)
- Tiere müssen ohne Schmerzen und Leiden gehalten werden, bis sie auf sehr kurzem Wege einer schmerzfreien Schlachtung zugeführt werden.
- Zukünftige Formen der Tierhaltung in der Landwirtschaft müssen CO2 neutral sein. Weidehaltung, minimale Transportwege zum Beispiel durch die Haltung auf einem Betrieb von der Aufzucht bis zur Schlachtung sowie regionale Vermarktung, biologischer Landbau, geschlossene Stoffkreisläufe im Betrieb und Fütterung aus regionalen Erzeugnissen sind nur einige der Faktoren, die hier einen großen Beitrag leisten könnten.
- Menschen, die an der Produktion, Verarbeitung und Distribution von Lebensmitteln tierischen Ursprungs beteiligt sind – Landwirte, Metzger, Köche, Verarbeiter und viele mehr – müssen faire Arbeitsbedingungen und einen fairen Lohn erhalten.
Gute Lebensmittel tierischen Ursprungs haben damit immer einen höheren Preis. Aber es wäre machbar, wenn wir den Anteil der tierischen Nahrungsmittel auf unseren Tellern insgesamt reduzieren und statt auf günstige „Massenware“ wieder mehr Wert auf Qualitätsprodukte legen, was sich – wenn man die versteckten Kosten mit einkalkuliert3 – unterm Strich als günstigere Variante herausstellen könnte – für unsere Gesundheit und das Klima.
Dr. Rupert Ebner, praktizierender Tierarzt & Leiter des Slow Food Conviviums München
Slow Food München ist Mitglied beim Münchner Ernährungsrat.