Johannes Bucej im Gespräch mit Eberhard Spangenberg

»Slow Food ist eine Erfolgsgeschichte«

Eberhard Spangenberg, Foto: Stephan Rumpf

 Der Gastronom Eberhard Spangenberg hob vor 25 Jahren mit ein paar Mitstreitern Slow Food in Deutschland aus der Taufe. In der Rückschau würdigt er das ehrenamtliche Engagement seiner Mitglieder und auch den politischen Blick auf Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft, wünscht sich aber »manchmal etwas mehr Lockerheit und weniger verwalteten Genuss«. Mit ihm sprach Johannes Bucej.

Slow Food München: Herr Spangenberg, am 26. September 1992 haben Sie gemeinsam mit 150 weiteren Mitstreitern und in Anwesenheit von Carlo Petrini Slow Food Deutschland gegründet. Wir Münchner haben das Datum auch immer als Gründungsdatum von Slow Food München begriffen. – Sind Sie stolz darauf, wie sich Slow Food – und natürlich auch Slow Food München – in den vergangenen 25 Jahren entwickelt hat?

Eberhard Spangenberg: Ich denke, »stolz« ist nicht das richtige Wort – das kann man auf eine eigene Leistung sein. Außerdem konnten wir in der Gründungszeit gar nicht ahnen, was dann darauf wachsen würde. Nein, stolz bin ich nicht, aber ich finde es durchaus beeindruckend, was aus den Anfängen geworden ist. Und daran waren ja viele andere beteiligt, sowohl bei der Gründung selbst als auch später. Leider gibt es kein Foto von unserem Gründungstreffen in Königstein. Carlo Petrini hat zwar damals dem Kellner, der das Foto gemacht hat, ein ordentliches Trinkgeld in die Hand gedrückt, aber es kam nie etwas an. Übrigens, die Vorarbeiten zur Gründung liefen schon ein Jahr vorher an – als ich als Verleger Carlo in Trento getroffen habe und von den Italienern die Rechte für die deutsche Ausgabe von »Osterie d’Italia« erworben habe. Eine Bedingung von Carlo war: »Du gründest mir Slow Food Deutschland!«

Sie waren am Anfang ja recht aktiv dabei, als Vorstand, in Ihren Geschäftsräumen war die erste »Geschäftsstelle« von Slow Food angesiedelt.
Ja, es waren etwas stürmische, teils chaotische Anfänge, wie das so ist, wenn man etwas von Null an und mit null Geld aufbauen will. Da waren die anfänglichen »weichen Strukturen« schon das einzig Richtige, und ohne den Background von meinem Weinhandel und Verlag wäre wahrscheinlich gar nichts gegangen, auch was die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation betrifft. Man kann bei einer neuen Idee kein enges Korsett gebrauchen, wenn man etwas erreichen will. Es hat sich dann allerdings schnell gezeigt, dass es auch unterschiedliche, nur schwer vereinbare Interessen gab, insbesondere zwischen »Profis« und »Amateuren«.

Na ja, Genuss zu professionalisieren …
Ja, es gab da bei Slow Food Deutschland von Anbeginn an ein gewisses Spannungsverhältnis – aber das Schöne an der Slow-Food-Idee aus Italien war von Anfang an, dass alle an einem Tisch sitzen. Man kann doch nur froh darüber sein, dass es Menschen gibt, deren Berufung es ist, die »guten Dinge des Lebens» aufzuspüren und sie auch kritisch auswählen und beschaffen oder erzeugen können? Aber es gibt dann doch in der Realität des Alltags immer wieder mal Spannungspunkte zwischen Profis und Amateuren. Profis haben meist viel weniger Zeit, sind realitätsnäher und aus Erfahrung eher zu Kompromissen bereit als Amateure, die, einmal in Amt und Ehren, manchmal etwas zu dogmatisch an die Sachen rangehen.

Wenn Sie sich an die Anfänge erinnern und das mit Slow Food heute vergleichen, was fällt Ihnen da auf oder ein?
Nun, zunächst einmal ist es die politische Ausrichtung der Slow-Food-Anliegen, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Wir waren ja ursprünglich angetreten, um freudvoll einen anderen Akzent in der Genusskultur zu setzen, regional, ja, mit guten, handwerklichen, authentischen Lebensmitteln. Genuss, galt damals immer noch als Privileg von Eliten und Reichen und war auf die Sterneküche und entsprechende Publikationen beschränkt.Diese Entwicklung eines politischen Ansatzes finde ich gut – ja, es muss Menschen geben, die sich für gute, saubere und faire Lebensmittel engagieren, aber bitte anders als zum Beispiel Foodwatch das tut. Diese Skandalisierung hilft niemandem, weder den Konsumenten noch den Erzeugern. Und Überregulierungen, die scheinbar dem Verbraucherschutz dienen, tun dem Genießen auch nicht gut.

Das klingt ein wenig distanziert.
Als es in Richtung »Verein« ging – mit all den üblichen Regularien – war mir klar, dass der Zauber des Anfangs nicht zu bewahren ist, und solche engen Regeln sind einfach nicht mein Ding. Wenn man wachsen will, braucht es natürlich Strukturen. Trotzdem wünsche ich mir manchmal etwas mehr Lockerheit, und etwas weniger »verwalteten Genuss«, auch etwas mehr Spielraum und Gelassenheit, wenn es um die Anwendung von Regeln geht. Regeln sind gut, sind wichtig, auch für die eigene Glaubwürdigkeit, aber auch ihre Anwendung braucht ein »Augenmaß«.

Der Genussführer, zu dem der Anstoß ja aus München kam, ist, anders als zum Beispiel der Osterie-Führer, ein Werk von Amateuren im besten Wortsinne: von Liebhabern guter regionaler Küche … und vor allem, sie machen es ja nicht aus beruflichem Interesse oder um sich damit zu profilieren, sondern sogar auf eigene Kosten.
Das sind große Verdienste –, da ist wirklich etwas Tolles entstanden aus ehrenamtlicher Arbeit, und der Führer ist ja auch kontinuierlich besser geworden. Übrigens, auch »Osterie d’Italia« wird auch von engagierten Mitgliedern aus Convivien vor Ort gemacht. Die Italiener sind in ihrer Auswahl und in ihren Texten vielleicht etwas weniger streng. Und weil wir gerade beim Genussführer sind: Das Thema Wein kommt mir da immer noch zu kurz, auch und gerade bei den Restaurantbesprechungen. Für mich ist der Wein nach wie vor der »König der Lebensmittel« – nicht bloß ein alkoholisches Getränk.

Es gibt ja auch noch andere Beispiele ehrenamtlichen Engagements, zum Beispiel Junior Slow oder die »Studenten-Spielküche«, der Förderverein für das Murnau-Werdenfelser Rind oder die »Genussgemeinschaft Städter und Bauern«…
Das sind alles ganz gute Beispiele, was man im Ehrenamt tatsächlich erreichen kann. Großartig! Ich finde es wichtig, schon früh darauf hinzuwirken, dass Menschen das Gute kennenlernen und erkennen lernen. Und das alles ist ja durchaus auch eine Erfolgsgeschichte. Ja, auch das ist etwas, worauf Slow Food München – jetzt sage ich es doch einmal – wirklich stolz sein kann.

Slow Food ist in »Convivien« gegliedert. Jetzt wird bei Slow Food Deutschland erwogen, den Begriff »Convivium« nicht mehr zu verwenden.
Aber warum denn? Den Grundgedanken der Convivien finde ich nach wie vor sehr gut und es hat ja auch etwas Sinnliches: Tafelrunden, Tafelfreuden, Gemeinschaft, Gastfreundschaft … das alles kommt ja in dem Wort zusammen. Das ist doch ein Alleinstellungsmerkmal von Slow Food. Dass Convivien eher heute »Untervereine« von Slow Food Deutschland sind, lässt den ursprünglichen Gedanken allerdings meines Erachtens etwas zurücktreten. Vielleicht sollten auch kleinere Einheiten möglich sein, wo es wieder persönlicher zugeht.

Slow Food wird oft vorgeworfen, elitär zu sein.
Was heißt denn elitär? Slow Food scheint mir gerade das Gegenteil zu sein. Lebensmittel, so wie Slow Food sie haben will, müssen teurer sein als die übliche Massenware; da fehlt es immer noch an Verständnis und Wertschätzung. Ich finde, Slow Food sollte sich in der Öffentlichkeit viel mehr dafür einsetzen, dass gute Lebensmittel auch etwas kosten müssen und dass es sich lohnt, dafür Geld auszugeben. Warum darf ein Schweinebraten im Gasthaus nicht 20 Euro kosten, wenn er dafür von einem Tier stammt, das gut gelebt hat und wenn der Koch sein Handwerk besser versteht als andere, die zum Beispiel auf Convenience-Produkte zurückgreifen? Oder – weil es mich nun mal besonders betrifft: Warum wird man schräg angesehen, wenn man sich mal eine besondere Flasche Wein leistet? Wir sollten doch froh sein, dass es solche Dinge gibt. Sie machen das Leben einfach schöner.

 Inzwischen sieht man Sie nur noch selten bei Slow Food.
Als Geschäftsmann habe ich nun mal wenig Zeit, mich auch noch ehrenamtlich zu engagieren. Aber ich bin mit GARIBALDI ja nach wie vor als Fördermitglied dabei und die Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen genieße ich jeweils sehr. – Und demnächst haben wir ja auch mal wieder einen gemeinsamen Abend mit Slow Food München geplant.

Darauf freuen wir uns dann schon. Vielen Dank für das Gespräch.