„Anders einkaufen – von Lebensmitteln ohne Strichcode, Einkaufsgemeinschaften und solidarischer Landwirtschaft“ (Dieser Beitrag erscheint im Online Magazin 07/2016 des Münchner Forums)
Slow Food ist eine internationale Bewegung, die seit 30 Jahren besteht und sich als Plattform für Menschen versteht, die ein anderes Lebensmittelsystem wollen: Genuss mit Verantwortung. Slow Food Deutschland ist als e.V. unterwegs und hat über 14.000 Mitglieder. In München hat das örtliche Convivium, so nennen wir unsere Gruppen vor Ort, knapp 1.000 Mitglieder. Slow Food steht für gute, saubere und fair erzeugte Lebensmittel, setzt sich für eine kleinteilige Landwirtschaft und den Erhalt der Biodiversität ein. Natürlich ist auch die Art und Weise wie wir einkaufen, konsumieren und uns versorgen ein Thema für uns!
Wo ist das Problem?
Anders einkaufen, was ist normal, was ist anders? Wir haben praktisch Oligarchen-Strukturen im Lebensmitteleinzelhandel. Bildlich gesprochen entscheiden vier Einkäufer (von ALDI, Lidl, REWE, Edeka), was ich im Verkaufsregal vorfinde und was dann auf meinen Teller kommt. Über 85% des Umsatzes geht in die Ladenkassen dieser Konzerne. Alle stehen für intransparente, verschachtelte Strukturen, Milliardenvermögen der Eigentümerclans, die sich hinter Stiftungen verstecken, eine schon neurotische Öffentlichkeitsscheu. Das Geld und die Gewinne werden aus der Region abgezogen und da versteuert, wo sie nicht versteuert werden müssen. Ein Hersteller, der gelistet, also mit seinen Waren ins Regal kommen will, muss Eintrittsgelder (sog. Werbekostenzuschüsse) zahlen. Die übergroße Marktmacht bringt mit sich, dass eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe unmöglich ist. Es herrschen Preisdruck, unfaire Geschäftspraktiken, Manipulation, statt Innovation. Verpackungsfreien Supermarkt, das gibt es nur als StartUp von Überzeugungstätern. Stattdessen beschreitet jeder Konzern den gleichen Irrweg des anderen. Wer senkt als nächstes den Milchpreis? Parallel betreibt man massiv Lobbyarbeit gegen Verbraucherinteressen (z.B. gegen eine erweiterte Kennzeichnungspflicht). Der sog. Markt macht es eben nicht!
Was wollen wir ändern?
Ich will den Menschen ins Auge schauen können, die meine Lebensmittel anbauen oder herstellen. Ich will nicht, dass Tiere für das wenige Fleisch, dass ich esse, nur „erzeugt“ und dabei gequält werden.
Artgerechte bäuerliche und kleinzellige Strukturen, statt Massentierhaltung. Ich will nicht, dass die Äpfel aus denen mein Apfelsaft gepresst wird oder die Tomaten in der Dose z.B. zu 90% aus China kommen. Dort ist die Umwelt schon kaputt und kein Qualitätssiegel etwas wert. Wir wollen weg von globalisierter Handelsware, hin zu regionalen und nachvollziehbaren Wegen. Es geht darum, wie wir zu einem anderen Konsum und damit zu einer besseren Landwirtschaft und regionaleren Handelsstrukturen kommen.
Geht es um die Frage bio oder nicht bio?! Oder lieber regional?
Nicht nur was für mich persönlich besser ist, sondern auch für meine Umwelt, Kinder, Enkelkinder, den Boden, die Biodiversität. VerMAISung der Landschaft, Erosion, Hochwasser? Lebensmittel für die Energiewende (Biogas)? Wollen wir das? Früher oder später landet man beim regionalen Bio. Regional, weil auch bei bio Lebensmittel mittlerweile um die halbe Welt gekarrt werden. Big business, Verfügbarkeit geht oft vor Nachhaltigkeit. Und warum eigentlich bio? Nur bio – besonders beim Fleisch – schreibt genaue Erzeugungs- und Haltungsbedingungen vor. Und die werden auch wirklich regelmäßig überprüft. Gibt es bei bio auch Skandale? Ja klar; kriminelle Energie liegt in der Natur des Menschen. Aber das ist kein Argument gegen bio.
Worauf kommt es an?
Transparenz, regionale Nähe und eine von Wissen und Verständnis geprägte Beziehung zwischen Erzeuger und Verbraucher. Im München gibt es über 40 Wochen- und Bauernmärkte, mit über 120 Händlern. Dazu immer noch unzählige inhabergeführte Fachgeschäfte, auch Hofläden und Direktvermarkter, den handwerklich arbeitenden Metzger und Bäcker, den Käseladen. Gerade nicht nur „einmal hin – alles drin!“ Und spart euch den Lidl-Samstag. Aber: Nicht alles ist dabei gut. Es gibt recht viel Intransparenz bei Zukaufware und leider auch Trittbrettfahrer. Ich kenne den Alibi-Bauern mit „…die Oma hält die Hühner“ – und dann stehen palettenweise Eier hinterm Standl. Genau hinschauen hilft, fragen erst recht.
Einkaufen ohne Strichcode!
Jedes Lebensmittel mit Barcode unterwirft sich einer (oft globalen) Logistikkette, fährt Hunderte von Kilometern durchs Land. Auch wenn es eigentlich um die Ecke wächst/erzeugt wird. Es gibt schon viele, die es anders machen: im Direktvertrieb von Erzeugern, bei regionalen Genossenschaften wie z.B. TAGWERK, im Unser Land-Regionalverbund, mit Biokisten, mit Ökokisten, bei der Genussgemeinschaft Städter & Bauern, in einer Food Assembly, beim Waldgärtner, beim Kartoffelkombinat, bei Urbanen Gärten.
Was ist solidarische Landwirtschaft?
Auch SoLaWi genannt, englisch CSA (Community Supported Agriculture). Ein oder mehrere Landwirte oder Gärtner und eine Gruppe von Verbraucher tun sich zusammen. Sie betreiben oder beteiligen sich an einer Hofgemeinschaft und garantieren die Abnahme der erzeugten Lebensmittel. Landwirt und Verbraucher stimmen sich so gemeinsam ab, was angebaut und was gehalten wird. Auch das Risiko wird gemeinsam getragen. Der Bauer bleibt souverän, wird sich aber abstimmen und gewinnt treue Abnehmer. Was ist anders: Abstimmung und Dialog statt Abhängigkeit von einer Bank, dem Kredit des Landmaschinenhändlers, der BayWa oder des Aufkäufers. Das Ziel ist, Lebensmitteln ihren Preis zu nehmen und ihnen ihren Wert zurückzugeben.
Und ist es wirklich teurer? Oder warum sind Discounter so billig?
Weil sie nur einen Teil der Kosten, die sie erzeugen auch tatsächlich bezahlen: Altersarmut der Beschäftigten, nicht allein wegen niedriger Stundenlöhne, sondern wegen der wenigen Stunden, die sie tatsächlich Arbeit bekommen, mit Arbeit auf Abruf und in (häufig unbezahlter) Bereitschaft; Umweltzerstörung, Verkehr, Stau durch LKW-Kolonnen, die der Industrie die Lagerhaltung ersparen, Verkehrstote, Kosten für das Gesundheitssystem (z.B. Antibiotikaresistenzen durch Arzneimittelrückstände im Fleisch). Brauche ich wirklich alles zu jederzeit verfügbar und jetzt auch schon im Online-Handel? Jeder kann heute damit anfangen, sein Einkaufsverhalten zu ändern. Das bringt nix? Falsch! Wir können fast alles ändern. Mit einer fatalistischen Einstellung hätten wir heute noch Sklaverei, Leibeigenschaft, Feudalismus, Diktatur, Hexenverbrennung und finsteres Mittelalter.
Was läuft in München falsch?
München gefällt sich in seiner Attraktivität und hält konstanten Zuzug und Wachstum für eigenen Verdienst. Unsere Politik verwaltet, statt zu gestalten. Die Verwaltung bremst, ist unendlich langsam und risikoscheu. Investorengruppen drücken der Stadt ihren Gestaltungswunsch auf, der nur heißt: maximale Rendite. Mitten im großen Wohlstand, getrieben von einer Immobilienblase, verarmen in unserer Stadt nicht nur alle nicht- oder geringkommerziellen Strukturen, sondern auch viele Menschen. München hätte gerne das Coole von Berlin oder Barcelona, aber bitte nur für den Marketingflyer und bei ordentlicher Rendite. Jeder Euro, der für überzogene Mieten ausgegeben werden muss, fehlt für den Einkauf guter Lebensmittel.
Was habe ich von alternativen Versorgungskonzepten?
Zuerst mal gute Lebensmittel, die schmecken, von denen ich weiß von wem und wie sie erzeugt worden sind. Und noch dazu macht es viel Spaß! Man lernt interessante Menschen kennen und erfährt ständig Neues, erlebt wie sich Bauern, Bäcker, (urbane) Gärtner, Metzger, Gastronomen, Stadtimker vernetzen. Die alle das verarbeiten oder zubereiten, was um die Ecke wächst. Man kann in die Region investieren und schafft Neues oder trägt dazu bei wie Bewährtes, aber fast schon Verschwundenes, wiederbelebt wird.